Insgeheim hoffte ich auch darauf, dass Anna nach dem Essen noch auf eine Tasse Kaffee zu mir nachhause mitkommen würde. Als ich mir die Küche genauer anguckte, bemerke ich jedoch, dass diese auch schon bessere Tage gesehen hatte. Also entfernte ich noch schnell die Krümmel, machte den Abwasch, verstaute das Geschirr und wischte kurz durch. Gut, dass mein Blick noch auf den Mülleimer fiel, denn er musste noch dringend weggebracht werden. Eilig verließ ich das Haus und steuerte in Richtung Mülltonne.
Bevor ich genau realisieren konnte, dass ein wichtiges Utensil fehlte, war es auch schon geschehen. Ich hörte hinter mir einen Knall und drehte mich mit schrecklicher Vorahnung um. Die Tür war zugefallen - auch das noch! Der Wind hatte sie einfach zugeschlagen und der Schlüssel lag natürlich noch ordentlich in der Schale im Flur. Eine Mischung aus Wut und Schrecken machte sich in mir breit. In meinem Kopf spielten sich Horrorszenarien ab. „Was, wenn ich das Treffen verpasse und Anna denkt, ich habe sie versetzt?“ „Was, wenn ich da allen erstens im Bademantel aufkreuze“ - etwas peinlicheres für sie und mich würde es wohl nicht geben.
Ich versuchte so gut es ging die Ruhe zu bewahren und rannte energisch ums Haus. Vielleicht war ja noch ein Fenster offen, durch das ich in die Wohnung kommen könnte. Aber ich hatte kein Glück. Da stand ich nun im Bademantel und guckte ungläubig zur Tür. Das muss ein selten komischer Anblick für die Nachbarn gewesen sein, doch an die dachte ich in diesem Augenblick nicht eine Sekunde. Geistesabwesend steckte ich meine Hände in die Bademanteltaschen und konnte nicht glauben, was ich dort fühlte. Ich lachte Laut auf - kein Schlüssel mitnehmen aber das Handy in der Tasche haben, das war mal wieder typisch.
Ich fand die Website eines lübecker Schlüsseldienstes (www.schluesseldienst-schultz.de), wählte seine Nummer und knapp 15 Minuten später fuhr auch schon ein Wagen die Einfahrt hoch. Der Monteur konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen und fragte nur „Na, ausgesperrt?“. Ich nickte verlegen, musste aber selber leicht grinsen.
Ein wenig hibbelig folgte ich dem Mann zur Tür und sah ihm zu, wie er an ihr arbeitete. Nach kurzer Zeit war die Tür endlich auf und ich überglücklich. Nicht mal ein Kratzer war zu sehen. Ich bedankte mich überschwänglich und rannte schon ins Haus, als mir der Schlüsselmann noch hinterher rief: „Ihre Rechnung kommt dann per Post“. Kaum zu glauben aber ihn hatte ich schon fast wieder vergessen, so sehr war ich in den Gedanken bei Anna. „Ok, super“ rief ich zurück und zog mich endlich vernünftig an.
Ich rannte zur Treppe und wäre fast gestolpert. „Oh nein, ein Notdienst reicht für heute“, dachte ich und ging lieber etwas langsamer die übrigen Stufen hinunter. Schnell die Schuhe angezogen, Jacke übergeworfen und schon mit einem Bein draußen, hielt ich inne. Den Schlüssel vergesse ich bestimmt nicht ein zweites Mal und nahm ihn endlich aus der Schale.
Ich brauste mit meinem Auto in die Stadt und erreichte glücklicherweise mit nur 10 Minuten Verspätung das Restaurant. Anna saß schon an einem Tisch und wartete auf mich. Ich versuchte gelassen zu sein, doch als sie meine verwuschelten Haare sah, die ich natürlich vergessen hatte nochmals zu kämmen, fragte sie nur: „Wie siehst du denn aus?“ Da sie dabei leicht verwirrt guckte, erzählte ich ihr die komplette Geschichte und sie musste herzhaft lachen. Die Vorstellung, wie ich im Bademantel um das Haus gerannt bin, musste einfach zu komisch sein. Wir lachten noch viel und insgesamt wurde es noch ein sehr schöner Nachmittag.
Seit diesem Tag sind nun 5 Jahre vergangen und Anna und ich blicken immer noch gerne darauf zurück. Schließlich war dieser Tag der Beginn unserer Beziehung. Anna war so überrascht davon, wie aufgeregt ich an diesem Tag war und wieviel ich unternommen hatte, nur um sie zu sehen, dass sie sich in mich verliebte. Wir wurden ein Paar und erwarten nun bald unsere erste Tochter. Und auch heute noch fragt sie mich, wenn ich das Haus verlasse: „Hast du auch deinen Schlüssel dabei?“ und grinst dabei.